Stuttgart: Gedenkmarsch an Opfer des Genozids in Srebrenica

Unter dem Motto „Ich bin Srebrenica – ich vergesse nicht“ zogen am Wochenende tausende Bosnien durch Stuttgart. Ziel des Schweigemarsches war es der über 8000 Opfer des Genozids in Srebrenica zu gedenken. 

Hintergrund zum Genozid an Bosniaken in Srebrenica

Der Völkermord von Srebrenica, auch bekannt als Massaker von Srebrenica, ereignete sich im Juli 1995 während des Bosnienkrieges. Srebrenica war zu dieser Zeit eine sogenannte „Safe Zone“, die von den Vereinten Nationen geschützt werden sollte. 

Am 11. Juli 1995 drangen serbische Einheiten unter der Führung von General Ratko Mladić in Srebrenica ein. Innerhalb weniger Tage wurden über 8.000 bosniakische Männer und Jungen systematisch ermordet. Der Völkermord von Srebrenica gilt als das größte Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die serbischen Einheiten trennten die Männer und Jungen von den Frauen und Kindern und trieben sie in Lager und Gefängnisse. Dort wurden sie gefoltert, vergewaltigt und schließlich ermordet. Die Leichen wurden in Massengräbern verscharrt oder in Flüsse geworfen. Viele Opfer wurden nie gefunden.

Der Völkermord von Srebrenica war das Ergebnis einer gezielten Politik der ethnischen Säuberung, die von den serbischen Streitkräften durchgeführt wurde. Ziel war es, die bosniakische Bevölkerung zu vertreiben und das Gebiet zu ethnisch reinigen. Das Massaker von Srebrenica war ein klarer Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Das Massaker von Srebrenica hat die internationale Gemeinschaft schockiert und zu einer intensiven Diskussion über die Rolle der Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft bei der Verhinderung von Völkermord geführt. Es hat auch zur Verurteilung von Kriegsverbrechern vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien geführt. 

Das Gedenken an den Völkermord von Srebrenica ist von großer Bedeutung, um sicherzustellen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen. Die internationale Gemeinschaft hat die Verantwortung, solche Verbrechen zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Srebrenica bleibt eine Mahnung an die schrecklichen Konsequenzen von Hass und Intoleranz.

Gedenkmarsch in Stuttgart mit tausenden Besuchern

Der Schweigemarsch am 2. Juli 2023 begann pünktlich um 14 Uhr am bosnischen Generalkonsulat in der Olgastraße und endete gegen 15:30 Uhr am Schlossplatz.

Er führte durch die Stuttgarter Innenstadt über den Marienplatz, die Tübinger Strasse, die Theodor-Heuss-Strasse bis zum oberen Schlossgarten am Schauspielhaus.

Mehrere tausende Teilnehmer schwenkten bosnische Flaggen und waren gekommen um ein Zeichen gegen Nationalismus und das Vergessen des Genozids an den Bosniaken zu setzen. 

Im Anschluss an den Friedensmarsch begrüßte die Veranstalterin Nermin Zolj-Šabanović die Redner der Abschlusskundgebung:

  • Sejfudin Dizdarević, Autor
  • Mustafa Širbić, Schriftsteller
  • Edina Jusufović, Konsularin
  • Jasmina Hoster, Bundestagsabgeordnete
  • Željko Komšić, Mitglied des Präsidiums in Bosnien

Für die Teilnehmer war es ein sehr emotionaler Tag. Besonders die Geschichte von Mustafa Širbić hat sich sicherlich jedem Anwesenden ins Gedächtnis gebrannt. 

In der Geschichte geht es um eine Frau, die in der Zeit des Bosnienkriegs (1992-1995) mit ihren Kindern als Flüchtling nach Stuttgart kam. Sie kam regelmäßig zu Mustafa Širbić, der in einem Bürgerbüro für Flüchtlinge aktiv war. 

Sie war sehr besorgt, weil ihr Ehemann in Brčko in einem Konzentrationslager der serbischen Armee gefangen war. Mehrere Monate vergingen und jedesmal als sie Mustafa fragte, ob es Neuigkeiten gibt, verneinte sie. 

Die Freude der beiden war groß, als feststand, dass ihr Ehemann durch einen Gefangenenaustausch freikommt. 

Aber in Stuttgart angekommen, merkte seine Frau schnell, dass etwas mit ihm nicht stimmte – er sprach kein Wort. Mehrere Monate vergingen bis er sich langsam öffnete und ihr den Grund für sein Schweigen erzählte. Ihr Mann hat einen Schock erlitten. 

Die Frau erzählte die Geschichte bei einem Treffen Mustafa Širbić, der erst über 20 Jahre später die Kraft fand, sie anderen zu erzählen. 

Der Ehemann der Frau aus Brčko war im KZ Luka in Brčko, einer Stadt im Nordosten Bosniens, inhaftiert. Dort war er zusammen mit 200 anderen bosnischen Muslimen. 

Das KZ war von den lokalen Vertretern der Serben direkt nach Kriegsausbruch errichtet worden. Als der Gefangenenaustausch bereits feststand, war es den Serben ein besonderes Anliegen die Häftlinge, die freikommen, größtmöglichen seelischen Schmerz zu bereiten. 

Sie wollten die inhaftierten Bosniaken traumatisierten. 

Dazu wurden sie alle auf einen Platz vor dem KZ gebracht. Im Anschluß wurden sie von ca. 30 serbischen Soldaten mit Maschinengewehren umstellt. Unter den Inhaftierten waren auch Kinder, Frauen und alte Menschen.

Die Anweisung an die serbischen Soldaten lautete: „Keiner der Häftlinge darf den Kopf senken. Wer den Kopf senkt, wird sofort erschossen.“

Vor den Inhaftierten war ein großer, industrieller Fleischwolf platziert. Das Gebäude war vor dem Krieg zur Fleischverarbeitung genutzt worden.

Daraufhin entrissen zwei Soldaten einer Mutter ihren 5-jährigen Sohn, die ihn in den Armen hielt und verzweifelt versuchte sich dagegen zu wehren. 

Die Soldaten starteten den riesigen Fleischwolf und ließen den Jungen langsam hineinfallen. Mit den Füssen zuerst, damit man möglichst lange seine Schreie hört. Der riesige Fleischwolf drehte sich langsam und zermalmte die Körperteile des Kindes erbarmungslos. Die Mutter versuchte verzweifelt sich von den zwei Soldaten loszureißen, die sie nur mit Mühe halten konnten. 

Alle 200 Inhaftierten waren gezwungen die gesamte Szene mit anzusehen oder mit dem Leben zu bezahlen, falls sie den Kopf senkten. 

Am Ende ließen die zwei serbischen Soldaten die Mutter los, die schreien versuchte von ihrem Jungen zu retten, was sie konnte. Am Ende hielt sie nur seine Haare in der Hand. Der Rest seines Körpers war zerkleinert worden – so wie man es mit Rinder- oder Hähnchenfleisch macht. 

All diese Menschen, die befreit wurden, nahmen diese schrecklichen Bilder, die Unmenschlichkeit, den Schmerz und die Hilflosigkeit der Mutter, all das nahmen sie mit sich. Wahrscheinlich vergeht kein Tag, keine Nacht, wo sie sich nicht fragen, wozu der Mensch imstande ist. 

Als die serbischen Soldaten des Konzentrationslagers und ihre Befehlshaber – Vojislav Šešelj, Radovan Karadžić, Biljana Plavšić und andere Kriegsverbrecher – erfuhren, dass die Inhaftiertes des Kos entlassen werden und sie ihre Körper nicht mehr schänden können, entschlossen sie sich stattdessen für ihre Seele. Sie entschlossen sich sie psychisch so zu traumatisierten, dass sie möglichst kein normales Leben mehr führen können. 

Daher ist es mehr als verständlich, dass der Mann, um den es in der Geschichte von Mustafa Širbić geht, monatelang nicht sprach. Mustafa stellt am Ende seiner Rede noch die berechtigte Frage: „Wie konnten die serbische Soldaten am Ende des Tages zu ihren Familien gehen? Wie konnten sie mit ihren Kindern spielen?“ 

Hintergrund Konzentrationslager „Luka“ in Brčko

Das Konzentrationslager Luka in Brcko war ein berüchtigtes serbisches Konzentrationslager während des Bosnienkrieges in den 1990er Jahren. Es wurde von serbischen Truppen eingerichtet, um bosniakische und kroatische Gefangene zu internieren und zu foltern.

Das Lager wurde im Mai 1992 errichtet und war Teil einer systematischen ethnischen Säuberungskampagne, die von serbischen Nationalisten gegen Nicht-Serben durchgeführt wurde. Die Bedingungen im Lager waren entsetzlich. Die Insassen wurden gefoltert, sexuell missbraucht und ermordet. Viele wurden auch zur Zwangsarbeit gezwungen.

Die serbischen Wachen im Lager nahmen sich das Recht heraus, über Leben und Tod der Gefangenen zu entscheiden. Es gab zahlreiche Berichte über Folter, Vergewaltigung und willkürliche Tötungen. Die Insassen wurden in überfüllten Räumen ohne ausreichende Nahrung oder medizinische Versorgung gehalten.

Das Konzentrationslager Luka diente als Symbol für die Brutalität und Grausamkeit des Bosnienkrieges. Es war Teil einer gezielten Strategie, um die bosnischen Muslime und Kroaten zu entmenschlichen und zu vernichten. Tausende von Menschen wurden in diesem Lager gefangen gehalten, und nur wenige überlebten.

Nach dem Krieg wurden Untersuchungen gegen die Verantwortlichen des Lagers eingeleitet. Viele von ihnen wurden vor Gericht gestellt und für ihre Verbrechen verurteilt. Das Konzentrationslager Luka in Brcko steht als Mahnmal für die Gräuel des Krieges und als Erinnerung daran, dass wir uns immer gegen Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung stellen müssen.